Entwicklung und soziale Beziehungen, Prävention und Sozialpsychiatrie

Die Rostocker Längsschnittstudie

Die Rostocker Längsschnittstudie geht in die Neunte Runde!

Nachdem einem Konsortialantrag auf Förderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft stattgegeben wurde, läuft aktuell die nächste Erhebungswelle der ROLS unter der Leitung von PD Dr. Olaf Reis.

Thema der aktuellen Erhebung ist – wie könnte es anders sein – die Corona-Krise. Diesmal soll der Zusammenhang zwischen dieser Betroffenheit, also dem „Corona-Stress“, und dem Gesundheitsverhalten untersucht werden. Wir Menschen sind eine sogenannte „bio-psycho-soziale Einheit“, was bedeutet, dass unsere Gedanken, unsere Handlungen und unsere Biologie einander beeinflussen und alles zusammenhängt. Aus diesem Grund soll dieses Mal auch biologische Maße erhoben werden, die dem modernen Stand der Wissenschaft entsprechen. Dazu gehören auch eine Gen-Analyse und eine Magnetresonanztomographie. Schwerpunkt der Untersuchung bleiben jedoch wie in vorherigen Wellen das Interview und die Fragebogenerhebung.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ROLS  sind auch diesmal wieder herzlich eingeladen an der Untersuchung mitzumachen. Dafür werden wir demnächst mit Ihnen in Kontakt treten und Sie über die Details der Studie aufklären.

Forschungshintergrund

Die ROLS ist eine prospektiv angelegte Längsschnittuntersuchung, die die Entwicklung von 294 Rostockerinnen und Rostockern seit ihrer Geburt 1970/71 verfolgt. Europaweit findet sich keine Entwicklungsstudie mit längerer Laufzeit.
Der Ursprung der ROLS geht auf die immensen Fortschritte der Neonatologie und Perinatalmedizin in den 60er und 70er Jahren zurück, die der Evaluation harrten. Sie erwuchs zudem aus den weltweiten Forschungen zum Stellenwert frühkindlicher zerebraler Belastungen als Erklärung für psychische Normabweichungen, dem sogenannten MCD-Konzept (minimal cerebral dysfunction). Zu gleicher Zeit ging unter dem Stichwort, "kompensatorische Erziehung" ein optimistischer Ruck durch die Erziehungswissenschaften.
Vor diesem Hintergrund zielte die ROLS darauf ab, die Interaktionswirkungen zwischen frühkindlichen zerebralen Belastungsfaktoren und Umweltverhältnissen durchschaubarer zu machen, Ursachen und Bedingungen psychischer Entwicklungsunterschiede aufzuzeigen und die Kenntnisse zur prognostischen Urteilsbildung zu vertiefen. Im weiteren Verlauf haben sich die konzeptionellen Orientierungen gewandelt, erweitert, und an den jeweils herrschenden Zeitgeist angepasst. Maßgeblich wurden der gesamte Entwicklungskontext, die Bewältigungsprozesse und der Leitgedanke, dass Heranwachsende zu Produzent:innen ihrer eigenen Entwicklung werden. Das führte zu einem Umdenken über die Rolle des Kindes im Sozialisationsprozess, dem sich die ROLS bis heute verpflichtet fühlt. In der sogenannten Entwicklungspsychopathologie erweiterte sich der Blick von den Ursachen für Fehlentwicklungen hin zur Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden Ereignissen. Keine Einzelstudie kann all diese Strömungen abdecken, aber die ROLS ging von Anfang an als es keineswegs Allgemeingut war von der Auffassung aus, dass sowohl die Ätiologie von Störungen als auch der Verlauf von normalen Entwicklungen nur aus der Betrachtung des Individuum-Umwelt-Systems verständlich wird. Dieses Integrationsmodell leitete und leitet das Bemühen, die biologische, die intrapsychische und die soziale Analyseebene im Design der ROLS zu integrieren. Diesem Ansatz verdankt die Studie ihr Fortbestehen. Das Konzept der Individuum-Umwelt-Interaktion überlebte auch die größte Herausforderung an die Weiterführung der Studie – die sogenannte „Wende“ und den Zusammenbruch der DDR. Seither ist die ROLS eine Studie, die wie kaum eine andere in der Lage ist, das Wechselspiel individueller Voraussetzungen und einer Umwelt im beständigen Wandel zu beschreiben.

 

Anlage und Verlauf

Die ROLS ging von einer DDR-weiten epidemiologischen Erhebung im Rahmen des Forschungsprojekts "Perinatologie" aus, die die Verbreitung und differentielle Wirkung von perinatalen Risiken erfassen sollte. Im Jahr 1970/71 wurden in ausgewählten Entbindungskliniken sämtliche Risikogeburten und jedes vierte komplikationslos Neugeborene erfaßt, um in etwa ein ausgewogenes Verhältnis von belasteten und unbelasteten Kindern zu erhalten. In Rostock lagen ca. 1000 Befunddokumentationen vor, die umfassende neonatologische, geburtshilfliche, sozialhygienische und soziodemografische Daten enthielten.
Die erste Nachuntersuchung mit zwei Jahren beschränkte sich auf die Kinder, die eine Krippeneinrichtung im Stadtgebiet Rostock besuchten, um eine möglichst unausgelesene und vollständige Teilstichprobe zu gewährleisten. Von den 300 in Frage kommenden Kindern konnte die Mitarbeit von 294 Mutter-Kind-Paaren abgesichert werden. Sie bilden die Ausgangsstichprobe der ROLS und die Grundlage der folgenden Wellen.
In der Tabelle ist der Verlauf überblicksartig dargestellt.
 

 KörperMotorikIntelligenzFamiliesoziale
Beziehungen
Person
- selbst
Person
- fremd
Alter
in Jahren
N
          
1970        +               +          +   Geburt1000
1972        +         +              +          +   2294
1976        +         +              +          +   6279
1980        +         +              +          +          +         +10268
1984        +               +          +                   +         +         +14247
1990        +               +                    +         + 20199
1995        +               +          +                   +         +         +25212
2008        +               +          +                   +         + 38207
2022        +                                       +         + 52 

Tabelle 1: Zeitpunkte, Konstrukte und Stichprobengrößen (soweit bekannt) der Vollerhebungen in der Rostocker Längsschnittstudie 1970-2022.

Bemerkenswert ist dabei die vergleichsweise geringe Ausfallquote. Nach 25 Jahren beteiligten sich trotz der hohen Mobilität - 41 % der Proband:innen lebten nicht mehr in Rostock - noch 72 % der Ausgangsstichprobe. Sogar nach 38 Jahren wurden noch ähnlich viele Teilnehmer:innen erreicht, trotz einer ausgedehnten Migration, die viele Proband:innen auch in weit entfernte Teile Deutschlands führte (siehe Abbildung).

Weiterführende Studieninformationen für Teilnehmer:innen

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